Laufen den Eishockeyclubs die Fans davon?
Die National League ist ausgeglichen und hochstehend wie lange nicht mehr. Trotzdem bleiben viele Plätze leer. Manche Clubs starteten Aktionen – vergeblich.
Marco Oppliger, Angelo Rocchinotti
Publiziert: 15.11.2022, 16:30
Gähnende Leere: Auf dem Eis stehen Topspieler, doch die Begeisterung der Fans hält sich wie hier in Lausanne in Grenzen – noch.
Foto: Laurent Gilliéron (Keystone)
Vielleicht muss diese Geschichte mit der Berner Postfinance-Arena beginnen. Schliesslich rutschte schon so manchem Spieler das Herz in die Hose, wenn er beim Einlaufen zur Stehplatzrampe blickte, die mit jedem Schritt höher und mächtiger zu werden schien. Zumindest war das einmal so.
Denn nun bilden sich dort immer mehr Löcher. Gegenüber 2019/2020 – der letzten Saison, die ohne Corona-Einschränkungen für das Publikum stattfand – hat der SC Bern im Schnitt rund 1400 Zuschauerinnen und Zuschauer (-9 Prozent) pro Spiel verloren. Und er steht mit dieser Entwicklung bei weitem nicht allein da: Lausanne (-22 Prozent), den SCL Tigers (-19) und Lugano (-12) sind im Verhältnis noch mehr Fans abhandengekommen.
Das erstaunt, weil diese Meisterschaft so spannend und hochstehend ist wie lange keine mehr. Bedingt durch den Ukraine-Krieg konnten die Clubs aus der National League Topspieler aus der KHL verpflichten, die zuvor nicht erschwinglich gewesen wären. Was zur Folge hat, dass selbst Aussenseiter wie Langnau und Kloten regelmässig punkten. Wieso wird das vom Publikum nicht honoriert?
Erfolg füllt Stadien
Die National League ist äusserst heterogen. Das zeigt sich gerade beim Blick auf die Zuschauerzahlen. Ambri, Gottéron und die ZSC Lions spielen in neuen respektive rundum sanierten Arenen und ziehen mit diesen die Massen an. Und es gibt die Rapperswil-Jona Lakers, die sich in den vergangenen Jahren in die erweiterte Spitze der Liga hochgespielt haben – was die Fans ebenfalls mit einem grösseren Aufkommen belohnen.
Erfolg ist zweifellos eine Voraussetzung, um ein Stadion füllen zu können. «Machen die sportlichen Darbietungen keinen Spass, wird es schwierig, Leute zu mobilisieren», betonte unlängst SCB-COO Rolf Bachmann. Die Berner blicken auf schwierige Jahre zurück, ebenso die SCL Tigers. Und bei den vermeintlichen Spitzenclubs Lugano und Lausanne harzt es in dieser Saison gewaltig. LHC-CEO Chris Wolf sagt: «Die schlechten Resultate, gerade zu Hause, spielen sicher eine Rolle beim Zuschauerrückgang. Zudem hatten wir ein paar Wechsel bei den Trainern und im Vorstand, was einige Fans verunsichert haben könnte.»
Selbst in Langnau, wo die Treue des Anhangs kaum Grenzen kennt, haben sich einige vom Club abgewendet. Die Warteliste für einen Sitzplatz konnte auf diese Saison hin abgearbeitet werden. Was aber nicht genügte, um die Abgänge zu kompensieren. Also versuchte es der Club mit Aktionen wie Spezialabonnementen zu attraktiven Preisen – doch auch diese liefen durchzogen.
Corona wirkt nach
Allerdings ist der Erfolg nur ein Faktor. Die Teuerung und eine mögliche Rezession haben gerade in strukturschwachen Regionen wie dem Emmental Auswirkungen. Manch ein Fan muss sich zweimal überlegen, ob er nun Geld für Ticket, Bratwurst und Bier ausgibt oder es doch lieber auf die Seite legt. Und dann wirkt die Corona-Pandemie immer noch nach. Obwohl keine Einschränkungen mehr gelten, dürften einige nach wie vor einen grossen Bogen um Grossanlässe machen – gerade in geschlossenen Räumen. «Andere haben ihre Gewohnheiten angepasst, sie schauen sich die Spiele vielleicht lieber am TV an», sagt Wolf.
Er vermutet zudem, dass ein Teil der Zuschauer in den letzten zwei Jahren generell das Interesse am Eishockey verloren hat. Gerade in einer grossen Stadt wie Lausanne, wo der Sport mit diversen kulturellen Angeboten konkurriert. Diese These stützt Lugano-COO Jean-Jacques Aeschlimann: «Die Analyse ist schnell gemacht: Die Menschen haben während der Pandemie auch andere Hobbys entdeckt und sich teilweise vom Eishockey im Tessin abgewendet.»
Hinzu kommt das goldene Herbstwetter. Als die Saison Mitte September begann, herrschten teilweise noch 20 Grad, waren die Abende mild. Der Gang in eine Eishalle wirkte da wenig verlockend. Deshalb sagt Langnau-CEO Simon Laager, die wichtigste Zeit für den Club stehe nun an: «Bis nach den Herbstferien halten sich die Leute eher noch zurück. Die traditionellen Monate für das Eishockey sind Dezember, Januar, Februar.»
Das würde zumindest die teilweise hohe No-show-Quote erklären. Selbst in Kloten, wo nach dem Aufstieg Euphorie herrschen sollte, blieben den Spielen 20 Prozent der Zuschauer fern – trotz Ticket oder Abonnement. Meister Zug kämpft mit ähnlichen Problemen. «Gefühlt ist die No-show-Rate bei uns höher als im Herbst 2019», hält CEO Patrick Lengwiler fest. Eine genaue Auswertung wird beim EVZ Mitte und Ende Saison vorgenommen. «Aber wir hatten generell lange Mühe, die Leute zurück ins Stadion zu führen. Selbst nach Aufhebung sämtlicher Restriktionen.» Erst im Playoff im Frühling habe sich dies geändert.
Klotens Präsident Mike Schälchli sieht einen weiteren Grund für die hohe No-show-Quote: den Spielplan respektive die Gegner. Der EHC spielte bisher viermal an einem Dienstag und stets gegen Teams aus der Romandie. Gegen Lausanne erschienen offiziell 4406 Zuschauer – bei fast 4000 verkauften Saisonkarten. «Welsche Teams sind in Kloten wenig zugkräftig», sagt Schälchli. «Hinzu kommt, dass unsere Fans auch aus Schaffhausen und dem Aargau kommen und aufgrund der längeren Anreise mal auf eine Partie verzichten.»
Der neidische Blick zum Fussball
Ein ganz anderes Bild präsentiert sich beim Fussball. Im Vergleich zur Saison 2018/2019 – die letzte ohne Einschränkungen für das Publikum – haben einzig Basel und Lugano Zuschauer eingebüsst. Alle anderen Clubs legten zu. Den grössten Sprung machte der FC St. Gallen. Die Ostschweizer mobilisieren rund 5000 Fans mehr als noch vor der Pandemie. «Es wird weniger Fussball gespielt», sagt Schälchli und mutmasst: «Alle Sportarten mit einer hohen Spielkadenz könnten irgendwann ein Problem bekommen. Die Jungen picken sich heute die besten Spiele heraus. Ich sehe das bei meinen Söhnen.»
Der Kloten-Präsident weiss, wovon er spricht. Er verweist auf die Festivals, die er mit seiner Event-Agentur mitbetreibt. «Früher hast du Rammstein hingestellt, und die Sache war erledigt. Heute müssen wir uns viel mehr anstrengen, um das Niveau halten zu können. Am Greenfield tun wir dies beispielsweise mit diversen Themenwelten. Sind wir vielseitiger, holen wir neue Leute ab.» Es überrascht deshalb kaum, versuchen die Clubs mit Aktionen für Familien oder speziellen Verpflegungsangeboten die Gunst der Fans zurückzugewinnen.
Interessant ist, dass sich alle Befragten gegen den Einwand wehren, wonach die lange Qualifikation mit 52 Runden die Attraktivität eines Matchbesuchs mindere. Lausanne-CEO Wolf sagt, das Produkt Eishockey sei von hoher Qualität. «Es gibt keinen Grund, sich zu viele Sorgen zu machen. Es gibt Arbeit, um Zuschauer zurückzugewinnen, aber das ist durchaus möglich.» Diese Zuversicht teilt Langnau-CEO Laager: «Der Mannschaft läuft es, deshalb gehen wir davon aus, dass die Zahlen steigen werden. Die Voraussetzungen könnten nicht besser sein.» Wie auf dem Eis gilt: Abgerechnet wird am Schluss.