Felix Hollenstein und der Krebs«
Es war die Hölle»
Die Diagnose Knochenmarkkrebs erschütterte die Welt der Eishockeylegende, das letzte Jahr war für ihn eine einzige Tortur. Doch jetzt ist «Fige» zurück.
Es war kein gutes Jahr für Felix Hollenstein. Eine Thrombose und ein Nierenstein quälten den Sportchef des EHC Kloten. Und dann auch noch das: Anfang November 2019 durchzuckte ihn, als er etwas Schweres heben wollte, ein Schmerz im Rücken. Die Untersuchung zeigte, dass ein Wirbel gebrochen war. «Das ist doch nicht normal, dass ein Wirbel einfach so bricht», sagte ihm sein Arzt und Freund Ueli Brunner. Und untersuchte weiter.
Und dann verkamen Thrombose und Nierenstein zur Nebensache. In der Onkologie in der Zürcher Hirslanden-Klinik wurden Tests vorgenommen, danach stand die erschütternde Diagnose fest: Ein multiples Myelom, in der Umgangssprache Knochenmarkkrebs, hatte Hollenstein befallen. «Ich war sprachlos, emotional, es gingen mir hundert Gedanken durch den Kopf, und gleichzeitig fühlte ich eine grosse Leere», sagt er, der von allen nur «Fige» genannt wird, über diesen speziellen Moment.
Isolation im eigenen Haus
«Vor zwanzig Jahren wäre das ein Todesurteil gewesen, aber heute kann man das bekämpfen», erklärt der 56-Jährige. Und er schöpfte vor vierzehn Monaten denn auch grosse Zuversicht, als ihm Doktor Albert von Rohr sagte: «Die Chancen auf einen Behandlungserfolg sind sehr gut.» Es war der 7. Januar 2020, Chemotherapie und Bestrahlung wurden als anstehende Massnahmen genannt. Hollensteins Frau sagte: «Fangen wir gleich an.» Noch am selben Tag wurde die erste von unzähligen Chemotherapien verabreicht.
«Ich habe mich eine Zeit lang nur ernährt, essen konnte man das nicht nennen.»
Felix Hollenstein
Dass fast gleichzeitig Corona ausbrach, machte die Angelegenheit noch viel heikler. Hollensteins Immunsystem war wegen der Krebsbehandlung stark geschwächt, die Gefahr einer Ansteckung enorm hoch. Er isolierte sich zu Hause, schlief allein in einem Zimmer. Die Fahrten zum Spital und zurück waren für ihn eine Qual, er spürte schmerzhaft jede Bodenwelle. Während der ersten drei Monate sprach er auf die Chemotherapie nicht gut an. Gleichzeitig fanden Bestrahlungen statt, «zwölf Tage nacheinander». Die Schmerzen, wenn er jeweils aus der liegenden Position aufgerichtet worden sei, seien extrem und brutal gewesen.
Ein «Riesentag»
Der Krebs hat an Hollensteins Wirbelknochen Schaden angerichtet. Der einst so stattliche Mann, bei den vier Meistertiteln Klotens von 1993 bis 1996 grossartiger Vorkämpfer, wird den Rücken immer spüren. Aber diese Schmerzen seien auszuhalten.
Die Bestrahlung bewirkte eine Appetitlosigkeit, vieles habe wie Karton geschmeckt. «Ich habe mich eine Zeit lang nur ernährt, essen konnte man das nicht nennen.» Bei der Chemotherapie wurde das Medikament gewechselt, und dieses Mal war es das richtige. Anfang September meldete Hollenstein: «Heute die letzte Chemo.» Ende September sagte ihm sein Arzt Albert von Rohr: «Sie sind krebsfrei.» Das sei ein «Riesentag» für ihn und seine Familie gewesen.
Erhebliche Risiken
Doch die Behandlung war noch nicht vorbei. Es folgte eine Stammzellentransplantation unter der Leitung von Professor Christoph Renner. Diese Methode ist belastend und birgt gemäss einer Publikation der Hirslanden-Klinik erhebliche Risiken. Es werden dem Patienten gesunde, eigene und blutbildende Stammzellen übertragen. Vor der Transplantation erfolgt eine hoch dosierte Chemotherapie, um möglichst alle Krebszellen zu zerstören. Es brauchte drei Versuche, um genügend Stammzellen Hollensteins zu finden, sie zu entnehmen und dann nach der Chemotherapie wieder zu übertragen.
Der Patient war in einem isolierten Zimmer in der Klinik. Er sagt über diese Zeit: «Es war die Hölle.» Details erspart er sich und dem Zuhörer. Er versuchte, mit seinem Handy eine Art Tagebuch zu führen, aber es fehlte ihm die Kraft. Acht Wochen lang hatte er keinen Appetit, er wurde von ständigem Unwohlsein geplagt. Und dann, fast von einem Tag auf den anderen, sei das alles weg gewesen. Mittlerweile hat er bereits zwei Kontrollen hinter sich, die Blutwerte seien alle gut. Solche Kontrollen gehören nun zu seinem Leben wie auch die Chemotabletten, die er weiter einnehmen muss.
Hollenstein hat sich vorgenommen, sich nicht mehr so schnell über etwas aufzuregen.
Hollenstein hat sich vorgenommen, sich nicht mehr so schnell über etwas aufzuregen.
Foto: jch
«Ich war von Anfang an immer positiv und ich blickte immer nach vorn», sagt Fige. Als die Diagnose gestellt worden war, wollte er das nicht an die grosse Glocke hängen, er hat nur sehr wenige Leute über seinen Zustand informiert. Er wollte sich in Ruhe auf die Krankheit konzentrieren, sich ihr stellen. Die Kraft war da, der Wille auch.
Ein kleiner Versuch fürs Gemüt
Dazu kam die Unterstützung durch den Verwaltungsrat des EHC Kloten, durch das ganze Team und dessen Staff sowie von Geschäftsführer Pascal Signer, die alle ihrem Sportchef halfen, wo es nur möglich war. Und Hollenstein konnte immer wieder aus überraschenden Aktionen der Fans Energie gewinnen. «Auch die unzähligen Telefonate, Whatsapps und SMS haben mich überwältigt. In diesen schweren Momenten konnte ich auf meine Freunde zählen. Und auf Pflegefachfrau Dilara Ragettli, die mich von Anfang an begleitete – und mir auch jetzt noch so viel Positives vermittelt.»
«Ich wollte schauen, wie es so ist auf dem Eis.»
Felix Hollenstein
Wegen Corona konnte er ganz leise und fast unbemerkt wieder in «seine» Eishalle zurückkehren. Unerkannt beobachtete er Ende Januar ein Drittel des Spiels gegen die GCK Lions. Später wurden seine Besuche in der Swiss Arena häufiger. Und einmal, da konnte er es nicht lassen. Die Tore waren auf dem Eisfeld, die Schlittschuhe, Handschuhe und ein Stock im Auto. «Ich wollte schauen, wie es so ist auf dem Eis.» Zehn, fünfzehn Minuten versuchte er es. «Einfach war es nicht», sagt er, «aber für das Gemüt war es toll.»
In den letzten vierzehn Monaten haben sich Hollensteins Prioritäten verschoben. Die Gesundheit und die Zufriedenheit sind wichtiger geworden. Ihm wurde bewusst, dass vieles nicht selbstverständlich ist im Leben. «Und einmal mehr durfte ich erleben, dass ich Teil einer ganz tollen Familie bin.» Er konnte sich daran aufrichten, dass er ab und zu seine Enkelinnen durch eine Trennscheibe sah. Seine Frau war für ihn in dieser schweren Zeit «ein Engel». Und dass Sohn Marc, der Karosseriespengler, ihn immer, wenn es ging, zu Hause unterstützte und Denis bei den ZSC Lions trotz des Wissens um den Zustand seines Vaters so gut weitergespielt hat, erfüllt ihn mit grossem Stolz.
Nein, es ist viel mehr als Stolz. Felix Hollenstein, der Mann, der so oft als harter Hund auf dem Eisfeld oder an der Bande vorangegangen ist, wird von Gefühlen übermannt. Als er erzählt, kommen ihm die Tränen.
Roland Jauch
Publiziert heute um 19:59 Uhr