Kloten ist im Derby betrogen worden und die Liga hat ein Problem
Die ZSC Lions verdanken ihren Derby-Sieg gegen Kloten (3:1) zu einem schönen Teil einem absurden Video-Theater. Wird die unhaltbare Situation rund um die Video-Entscheide nicht korrigiert, wird die Meisterschaft spätestens in den Playoffs verfälscht. Eine Polemik.
Betrug ist eine harte Bezeichnung. Aber sie ist in diesem Fall durchaus berechtigt. Simon Bodenmann trifft nach 29 Minuten und 22 Sekunden zum 1:0. Kloten erhebt Einspruch.
Nach quälend langer Video-Konsultation wird der Treffer gegeben. Weil Klotens Einspruch, die «Coaches Challenge», also erfolglos war, folgt eine Zweiminutenstrafe.
Das umstrittene Tor ab 0:35 Min.Video:
YouTube/Sportifosi
Die ZSC Lions nützen das Powerplay 85 Sekunden später zum 2:0. Das Spiel ist entschieden. Diese Niederlage kann Kloten die Playoffs oder die Pre-Playoffs kosten.
Der Videobeweis macht Sinn, wenn er richtig angewandt wird. Der Videobeweis schadet dem Spiel (und den Schiedsrichtern) wenn er nicht richtig angewandt wird. Was inzwischen – leider – der Fall ist. Das Problem sind nicht fehlende Kameras an der blauen Linie. Das Problem ist die Regelauslegung der Torhüterbehinderung, die es so streng weltweit nur bei uns gibt.
Jedes Körperteil zählt
Die Regel sagt, dass ein Tor ungültig ist, wenn der Torhüter in seinem Torraum in der Bewegungsfreiheit durch einen gegnerischen Spieler eingeschränkt oder seine Sicht gestört wird.
Auf Wunsch der Klubmanager und Torhütertrainer wird diese Regel zum Schutz der Goalies auf diese Saison neu strenger durchgesetzt. Nicht nur der Schlittschuh oder der Stock im Torraum zählen. Sondern jedes Körperteil, mit dem die Sicht des Goalies im Torraum theoretisch eingeschränkt werden kann. Also auch ein Ellenbogen, ein Knie oder eine Hand. Das heisst: Ein Körperteil im Torraum, der den Goalie in der Bewegungsfreiheit hindert oder seine Sicht theoretisch einschränkt und das Tor zählt nicht. Dadurch ergeben sich gleich mehrere Probleme.
Erstens: Es ist schwierig und oft unmöglich auf den laufenden Bildern zu erkennen, ob der Torhüter tatsächlich irritiert worden ist. Der Ermessensspielraum ist viel zu gross. Die Video-Bilder liefern nicht mehr den klaren Beweis. Sie müssen von den Schiedsrichtern interpretiert werden. Das Publikum sieht die Bilder auf den Videowürfeln oft besser als die Schiedsrichter in den Zeitnehmerhäuschen und immer mehr kann ein Entscheid nicht mehr nachvollzogen werden.
Fünf Schiedsrichter, fünf Meinungen
Zweitens: Die Schiedsrichter werden genötigt, verschwitzt in engen Zeitnehmerhäuschen, umringt von den Funktionären des Heimclubs auf kleinen Bildschirmen eine Situation sofort zu analysieren, die eigentlich nur auf grossen Bildschirmen gut aufgelöst werden kann. Zudem spüren sie maximalen Zeitdruck durch ein ungeduldiges Publikum. Das ist beim Nachsehen, ob der Puck drin war oder nicht noch halbwegs zumutbar. Aber nicht bei der Beurteilung einer Goaliebehinderung. Selbst Experten haben inzwischen grösste Mühe, die Regelauslegung bei der Torhüterbehinderung einem Laien verständlich zu erklären. Inzwischen gilt: Wenn fünf Schiedsrichter über eine Goaliebehinderung diskutieren, gibt es fünf Meinungen.
Drittens: Bei der Beurteilung der Torhüterbehinderung gibt es inzwischen einen so weiten Ermessensspielraum, dass von einer Rechtsgleicheit keine Rede mehr sein kann. Das beste Beispiel liefert Kloten: Am 9. Dezember verweigern die Schiedsrichter nach Video-Konsultation im Derby im ZSC-Tempel in der 58. Minute den 2:2-Ausgleichstreffer durch Miro Aaltonen. Zürich entscheidet die Partie schliesslich in der letzten Minute mit einem Treffer ins verlassene Gehäuse zum 3:1.
Hanebüchene Regelauslegungsakrobatik
Wenn beim 1:0 am Mittwoch die gleiche Regelauslegung angewendet worden wäre wie bei der Annullierung des 2:2 vom 9. Dezember, dann hätte dieses 1:0 nicht zählen dürfen. Mehr noch: Die Behinderung von Klotens Torhüter Sandro Zurkirchen ist so klar, dass sie von der Tribüne aus ersichtlich ist. Die Begründung, warum der Treffer zum 1:0 am Mittwoch zählte, ist genauso hanebüchene Regelauslegungsakrobatik wie die Erklärung für die zu Unrecht erfolgte Annullierung des Klotener Ausgleiches zum 2:2 am 9. Dezember.
Der Video-Beweis ist da, um Klarheit zu schaffen und für Chancen- und Rechtsgleichheit zu sorgen. Der Videobeweis macht Sinn, wenn es darum geht, ein Offside zu erkennen oder nachzusehen, ob der Puck im Tor war oder nicht und ob das Tor korrekt (z.B. nicht mit der Hand) erzielt worden ist. Das ist einfach zu erkennen.
Wenn aber der Videobeweis für Situationen eingesetzt wird, die einen weiten Ermessensspielraum offenlassen, verkommt er zur Absurdität. Es kann doch nicht sein, dass die Schiedsrichter dazu gezwungen werden, Bilder zu interpretieren. Mal so, mal anders. Das ist ein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit in allen Stadien. Ein Kernelement des Sportes.
Wenn die Torhüterbehinderungs-Regel per Video beurteilt werden soll, dann ist es zwingend notwendig, dass dies stets die gleichen Experten in einem zentralen Kontrollraum (VAR-Room) machen. So gibt es eine einheitliche Linie und Kontinuität und der Druck wird von den Schiedsrichtern an der Front genommen.
Niemand macht etwas
Eine Szene wie beim Video-Betrug im Rahmen des Zürcher Derbys vom Mittwoch wird in den Playoffs die Meisterschaft verfälschen. Das Problem ist erkannt. Aber allenthalben heisst es: «Ja, ja man sollte etwas machen, aber ich will mich nicht exponieren.» Niemand macht etwas. Wieder einmal taumelt die Liga führungslos in ein Problem hinein, das gar keines sein müsste.
Es ist eigentlich ganz einfach. In einem ersten Schritt ist die Auslegung der Torhüterbehinderung wieder zu vereinfachen: Torhüterbehinderung nur dann, wenn der Goalie in der Bewegungsfreiheit im Torraum behindert wird. Die strenge Regelung der Sichtbehinderung ist wieder abzuschaffen.
In einem zweiten Schritt ist im Sinne einer Rechtsgleichheit das Video-Theater in den Stadien nach dieser Saison abzuschaffen und durch die Beurteilung von Experten an zentraler Stelle (VAR-Room) zu ersetzen.
Nicht möglich? Natürlich ist es möglich. Es ist nur eine Frage des Wollens. Zu teuer? Sicher nicht. Und da die Liga nicht geführt, sondern verwaltet wird, machen die Klubmanager auch in dieser Sache, was sie wollen. Sie wollen kein Geld ausgeben für Rechtsgleichheit. Sie wollen jeden Franken in die Spielerlöhne investieren.
Die Schiedsrichter sollten sich in ihrem ureigenen Interesse ernsthaft Gedanken über einen internen Aufstand machen.